Lyrik

Lyrik

Genomentschlüsselung

Narziss war so in sich vernarrt,
dass er sein Spiegelbildnis
kosmetisch operieren wollte.

Frierend im Mai

Süßer Gedankenschlag,
Müdigkeitsträne.
Schattenmorellen,
ihr, meine Pläne.
Serpentine Spannung,
Alltagsgegleiche:
schlüpfriges Moos
hüllt knorrige Eiche.
Halte und Gleiten;
sinkendes Boot.
Schauinszenierung
bei gleißendem Rot.
Einsam die Fliege
auf dem Salat.
Sang einst der Türmer
über die Saat?
Das vertraute Schöne
kitzelt das Blei.
Sekunden damals –
frierend im Mai.

Erleben

(WAS) (SICH)
(VON UNTERSCHIEDEN)

REDENSARTEN; WOMÖGLICH
DIE SPRACHE ÜBERHAUPT.
VERSTEINERUNGEN IN ANFANGS
FLÜSSIGER FORM. MEINE MUTTER
WIE VIELE IN DER FAMILIE,
AUCH BEKANNTE, DROHTEN MIR,
SICH UNTEREINANDER
OFT: TUST DU DAS,
KANNST DU WAS
ERLEBEN!
DABEI LIEGT
IM ERLEBEN
DER SINN DES LEBENS!
DAS UNBEWUSSTSEIN
ÜBER DEM VERSTEINERTEN BEWUSSTSEIN
FREILEGEN UND DIE WELT
WIRD SELTSAM
ETWAS ERLEBEN – DAS IST ARCHAISCH.
SICH ETWAS ERLEBEN
HEUER
– HEUREKA!

Berlin. Impression

Forum
steht hier für
ohne Orientierung, wenngleich
wildwasserhaft bewegt.
Platz
das eine Mal
für gedrängte Ansammlung
von Kisten, Hüten, Reptilien
aus Allerlei;
das andere Mal
für
zahnlos gähnende, bittere Leere.

Vor Prokrustes

Hast Du nach mir gerufen?
Ich bin schon lange da.
Andeutungen bohren sich fest.
Aussagen starren an.
Hoffnungen verursachen einander.
Der Mensch stammt
vom Affen ab
und baut sich zur Maschine um.
Ging über ein Feld
von Veilchenmöbeln;
sah einen Tanz
von Türkensäbeln.
Ein Triebwagen – Unfall.
Anteilnahme.
Grün-violette Bassgeige,
gräulich,
ist meine letzte Posaune.

SinnSuche

Spitze den Mund
zum Kuss; es zerspringen
die kräusligen Lippen
in Scherben zu Nahrung
all deines Künftigen.
Die schimmernde Wehr
der hochherzigen Seelen,
welche die Erdoberfläche
zu Lachfalten verschieben,
sie zu erklimmen
beifallbegierig.
Staunekram.
Staunegram!
Du selbst allererst,
allerwärts.

Sprachliche Lösung

Die Quadratur         des Kreises
ist im Boxring
längst                        gelungen.

Verwundrung und Genuss

Niemand außer mir sieht,
dass sich in der Sonne
auf dem grauen Holz
der Brüstung der Terrasse
zwei Schmeißfliegen begatten.
Regungslos. Schon über
eine halbe Stunde lang.
Ich schaue von Zeit zu Zeit
verwundert auf die Armbanduhr.
Wielange hält das vor?
Da geschieht Immenses, ohne
dass sich irgendetwas rührte.
Millionen Eier werden
von zwei sicher
in Lust erstarrten, hässlichen
Wesen befruchtet.
Zu meinem gegenwärtigen Vorteil:
So stören
sie meine Mahlzeit nicht.

Anti-Hoffnung 

Zwischen
Schlünden,
feinem Singen
zieht der
Rauch
in kalte Höhen,
um mit Strömungen
zu ringen,
deren Sinn
wir nie verstehen,
aus den Bunkerspalten
äugend,
kopfschüttelnd
zugrunde gehen.

Maulbronn

Was kreist in meinem  Kopf?
Such ich
den ausgeblasenen Atem
von Kepler, Hölderlin und Hesse?
Ein Schild
mit  ungewolltem Stabreim
wies mich her:  MAULBRONN
MÜLLDEPONIE
Ich flechte ihn zurück: Gestern,
MARBACH, ätzt weiter mir den Magen:
Schiller aus Buntmetall
säh’ von der Höhe
der nach ihm benannten Höhe
in Richtung : Oh du mein stilles Tal,
versperrte ihm nicht den Blick
– sein Nationalmuseum.
Könnte er schielen, säh er
links davon
im stillen Tal den Schlot
eines Reservekraftwerks stehen,
bereit, bei Spitzenlasten einzuspringen,
weil das Kernkraftwerk Obrigsheim
auf grünes Drängen
vom Netz genommen worden ist –
erklärt mir diensteifrig, schulterzuckend
ein Aufseher des Schiller-Nationalmuseums.
Ich wusste nun, warum
aus der grünen Wiese nebenan
das Museum der deutschen Dichtung
des 20. Jahrhunderts,
ein Beton, eckig mit eck’gen Pfeilern, ragt.
Von Chipperfield.
Ich heile heute
meine seelische Verschrammung
an der in Stein gesetzten Seinsgewissheit
des einstmal Zisterzienserklosters, Elitenschule.
An weißen Bräuten. Sie posieren
ungelenk zum Foto fürs Familienalbum
vor Rosensträuchern an den Fachwerkwänden.
vor der ins Einweckglas gesteckten Zeit.
Denk’ mir, sie führten
schwarze Königspudel an der Leine,
mit unkupierten Schwänzen, hochgerichtet,
die tollen wollten,
und tränke mein Empfinden
vor dem Danach
am heitren Vogelzwitschern
des  Weinbergwegs.

Das  Blatt

tropft.
glüht.
singt.
tanzt.
schwingt.
Löst sich.

DA

stiebt die jaulende Rotte die Ufer entlang.
Alle Schnauzen erhoben im Wind. Die Krätze
versteckt sich im Wams.
Wabernd, walkend
schießt die schwarze Gestalt, nicht entgeistert,
empor von vorher – und zerplatzt.
Bisse stochern, staken,
ersticken, und Freiheit entgleitet
in knisternde Taschen.

Vergoren

dauernd
brüchiges Eis träge
Schollen. Es lauern
die Augen. Magen
knurrt.
Schweifen schmerzt.
Hohl sind die Adern.
Du flatterst nicht mehr, Abwärme;
ich hab’ dich erfolgreich erstickt
und das Rufen
erdrosselt.

Kein Naturwunder

Wenn ein Schaf blökt,
verwandeln sich Menschen
in Papageien.

Blick nach oben

Der Kondensstreifen
als Strich —————-
quer durch den Mond

WM-Zeit

Der Radfahrer
zog die deutschen Farben
stolz hinter sich drein
wie ein Tiger den Schwanz
nachwort
stör sein
und nicht lachen können

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